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Petra Rieber ist Farbenmensch. Es beginnt bei den Resten von Bielefeld, in die sie noch als Petra Weschky im Sommer 45 mit vorübergehender Unterstützung eines olivgrünen GI-Jeeps hineingeschleudert wird1. Die Farbpalette der den Säugling Petra umgebenden Welt ist erdig. Rot und Grau von Ziegeln und Zement, Schwarz und Braun von Asche und Torfbriketts. Der Qualm aus Kohle-, Holzöfen und knallenden Zweitaktern vernebelt die Sonne zu fahler Blässe. Doch bald bricht sich in den Bielefelder Trümmergrundstücken sattes Grün Bahn2. Ihr erster Herbst bringt zudem die prallen Rot- und Gelbtöne des Teutoburger Mischwalds und zugleich die Saat der Liebe zum deutschen Mittelgebirge, die Jahrzehnte später in der schwäbischen Wahlheimat reiche Ernte tragen wird. Keine Farbe ohne Licht – das Kleinkind p.w. erfasst das physikalische Gesetz vor-rational, als sie Ende der Vierziger Jahre über ihre erste Juister Düne aufs graublaue Ungetüm linst. Noch eine Liebe fürs Leben. Jeder in Petra Riebers Umfeld kennt die physisch spürbare Strahlkraft ihres Glücks, wenn sie sich der Nordseeküste nähert. Nicht umsonst hat die malerische Darstellung des Lichts auf den Leinwänden der flämischen Meister nahe dieser Küste ihre Vollendung gefunden.
Petra Rieber spürt die mächtige Kraft dieses Lichts, lange bevor sie ihr mit3 kunsthistorischem Sachverstand Worte verleiht. Ihre Mutter und ihr Stiefvater sind strenge Meister der Farbenlehre. Passen müssen die Farben zueinander, sonst ist Alles Nichts. Befindet sich das Tuch auf Tisch, Mensch oder Bett? Ganz gleich: Ton in Ton ist schön, aber ja nicht alles Beige; beißen darf sich nichts; kombiniere niemals Rosa mit Grellrot.
Petra Rieber ist Formenmensch. Die Ästethik ihres Formenuniversums ist klar geordnet. Fließen sollen Kleider und Haare. Schuhe nicht zu spitz. Häuser dürfen eckig und gerade sein und sollten viele Fenster haben (Licht! s.o.).4 Autos sind schön, wenn sie Rundungen haben5. Menschen sind schön, wenn sie schlank sind, aber nicht zu muskulös. Der Po des Mannes ist allerdings wenn rund, dann schön. Verhasst ist der Façon-Schnitt6. Der Männerkopf möge rundum haarig sein und die natürliche Kopfform7 betonen. Der Frauenkopf möge mit dickem Haar bewachsen sein, die dürfen dann sehr sehr lang werden, aber nicht bis zum Hintern. Der Körper, wenn nicht in weit flatternde Baumwolle und Leinen gewandet, soll in engen Hosen stecken, die nicht zu tief sitzen.
Bitte nichts Bolleriges. Keine Karottenhosen, die oben zu weit und unten zu eng geschnitten sind. Der Schreibtisch soll vier Ecken haben und mittig vor dem viereckigen Fenster stehen. Der bare Fuß wird nicht heiß und ist fein anzuschauen.8
Petra Rieber ist Gefühlsmensch9. Ihre Lebensthemen10 sind der Mensch und sein Gefühl und ihre (Petra Riebers) Anteilnahme an allem Möglichen, das Menschen erleben11. Ihr großes Mit- und Eigengefühl drückt sich bspw. aus in schnellstdenkbarem Besuchen neugeborener Familienmitglieder und sowieso unverhaltener und niemals nachlassender Begeisterung12 für ihre Kinder und Kindeskinder13, Empörung über Ungerechtig- und -menschlichkeit14, Bewirtung von (mitunter erheblichen) Gästegruppen mit köstlichen15 Speisen und bei Bedarf täglicher Frischsuppenversorgung des im Krankenhaus befindlichen Mannes16, schauderndem Studium der Todesanzeigen angesichts des vergleichsweise jungen Versterbens einiger Mitbürger, leidenschaftlichem Lehrersein17, impulsivem Zigaretterauchen bei Gefühlsausschlägen trotz eigentlich erklärtem Nichtrauchersein18 und lebenslangen Freundschaften.
In Ihrer Malerei zeigt sich Petra Rieber wahrhaftig als Farbenmensch, Formenmensch und Gefühlsmensch.
1 Nukleus ihres ambivalenten Verhältnisses zu Amerika? Siehe zwar erster Ehemann (Amerikaner), aber schon die Idee einer Reise in das Land in Bausch und Bogen verwerfend (siehe hierzu allerdings auch Fußnote 11 bzgl. Flugunbehagen), doch frühe Verfechterin von Blue Jeans, amerikanischer Freiheitsbegriff wichtig für Emanzipation vom Elternhaus, auch Identifikation mit Haltung von (Protest-) Singer/Songwritern (B. Dylan, J. Baez, L. Cohen), zugleich Teil der Bewegung, die später als antiamerikanisch bezeichnet wird (“Amis raus aus Vietnam”, “Ho Ho Ho Chi Minh”), vgl. NATO-Doppelbeschluss, Menschenkette, Friedensbewegung, Feindbilder R. Reagen, Neoliberalismus etcpp.
2 Vorboten von Botanophilie, Biologiestudium und so-farbiger Parteimitgliedschaft.
3 im Laufe ihres Lebens zu erheblicher Größe und Tiefe angewachsenem und durch viele hundert Ausstellungskataloge verbrieften
4 sie bevorzugt die funktionale und menschenfreundliche Einfamilienhausarchitektur der 20er/30erJahre, sie bewohnt sie gerne in allen Ecken der Republik, Berlin Lichtenrade (73-76), Reutlingen (82-92), Düsseldorf-Unterrath (92-06) und –Benrath (06-heute). Auch der modernistische 60er Betonklotz in Stuttgart-Bad Cannstatt (76-82) ist freilich in guter Erinnerung. Krumme Waldorf-Giebel sind jedenfalls hässlich
5 super sind die Formen von Käfer (deutsch klar (so würde sie selbst nie kategorisieren, da letztlich mglw. auf chauvinistische Vorurteile zurückführbar)) und 2CV (französisch verspielt (so würde sie selbst nie kategorisieren, da letztlich mglw. auf chauvinistische Vorurteile zurückführbar))
6 Nicht nur wegen seiner preußisch-militärischen Konnotation und weil ihr leiblicher Vater mit dieser Frisur in den Tod zog, auch weil er hässliche Kanten und Giebel an den Männerschädel (und heutzutage auch Frauen-) schnitzt.
7 möglichst mit ausgeprägtem Hinterkopf -> Zeichen von Intelligenz -> attraktiv
8 Männer, die keine Sandalen tragen, sind bescheuert.
9 siehe hierzu auch J. Marias “Der Gefühlsmensch”, P.R. schätzt den Autor m.W. nicht sehr, vermutlich ist ihr seine Sprache zu männlich-selbstverliebt und sein Sujet zu fern, ich werde das aber bei Gelegenheit noch einmal mit ihr aufnehmen.
10 nicht abschließend gemeint, sondern im Sinne einer etwas plakativen Zuspitzung auf das Wesentliche.
11 Die Besorgnis um ihre Lieben ist dabei in höchstem Maße ausgeprägt, was insbesondere in Verbindung mit dem ständigen Hin-und Hergefliege ihrer Kinder und Enkel auf dem Erdball und ihrem (Petra Riebers) anhaltenden Flugunbehagen (das sich mangels eigener Flugaktivitäten niemals zur vollen Flugangst ausbilden konnte) zu einem ständigen Wechselbad aus Absturzangst und Erleichterung führt (“Gott sei Dank seid ihr gut angekommen ich hab mir Solche Sorgen gemacht und übermorgen fliegt ihr schon wieder weg oh Gott hoffentlich geht das gut”).
12 und Liebesstolz
13 und zugleich mächtiger Beunruhigung, wenn es mal nicht so läuft
14 siehe hierzu auch Fußnoten 1 und 3 bzgl. Protestbewegungen & Parteimitgliedschaft, außerdem lebenslange Auseinandersetzung mit NS-Regime und Holocaust; ansonsten Wut und Auflehnung gegen sonstige menschenverachtende Scheiße, die überall ständig passiert
15 und im Laufe der Jahrzehnte nach und nach alle künstlichen Zusatzstoffe meidenden und zunehmend behutsam exotischer werdenden (und jüngst zunehmend ottolenghisierten), freilich niemals die exquisite Basis einer im höchsten Maße verfeinerten Hausmannskost verlassenden
16 der tief und dauerhaft und leidenschaftlich von ihr geliebt wird, von ihm in ebensolcher Weise erwidert
17 verbunden mit dem ebenso leidenschaftlichen lebenslangen und die Kontroverse mit schwarzpädagogischen Klotzköpfen nicht scheuenden Kampf für eine menschenfreundliche und empathische Pädagogik
18 seit etwa zwanzig Jahren nicht mehr praktiziert